Arbeitsgruppe Thorsten Kröll
Experimentelle Kernstrukturphysik, Radioaktive Ionenstrahlen

Aktuelle Forschungsprojekte

Motivation

„… was die Welt im Innersten zusammenhält“ (Johann Wolfgang Goethe, Faust I), diese Frage beschäftigt die Forscher schon seit der Antike. Seit hundert Jahren wissen wir (Ernest Rutherford, 1910), dass es die Atomkerne sind, aus denen mehr als 99.5% der sichtbaren Materie im Universum besteht. Allerdings sind diese keineswegs unteilbar, sondern bestehen aus Nukleonen, den Protonen und Neutronen, welche ihrerseits ebenfalls Unterstrukturen haben (Quarks und Gluonen).

Die „starke Wechselwirkung“, eine der vier fundamentalen Wechselwirkungen in der Natur, resultiert in einer „Kernkraft“, die Kerne als gebundene Vielteilchensysteme aus Nukleonen verursacht. Allerdings ist man bei schweren Kernen darauf angewiesen, deren Struktur mit phänomenologischen, also an die Beobachtung von Eigenschaften bekannter Kerne angepassten Beschreibungen zu behandeln, da eine vollständige Anbindung der „Kernkraft“ an die zugrundeliegende fundamentale Wechselwirkung noch aussteht. Derzeit sind etwa 2500 gebundene Isotope (Kern mit Z Protonen und N Neutronen = A Nukleonen) bekannt, nur etwa 300 davon sind stabil (hier kommt auch die „schwache Wechselwirkung“ ins Spiel). Kernphysikalische Theorien lassen erwarten, dass etwa weitere 3500 Isotope gebunden sein könnten. Es gibt also noch ein weites Gebiet von „terra incognita“ zu erkunden.

Eine Vielzahl der Isotope, die wir im Universum vorfinden, wurde und wird, so unser derzeitiges Verständnis, über Kernreaktionen in explodierenden Sternen erzeugt. Die chemische Zusammensetzung unserer Welt hängt von den Eigenschaften der beteiligten Kerne ab – also das ganz „Kleine“ beeinflusst das ganz „Große“! Dabei verläuft die Produktion selbst über Isotope weit ab der Stabilät in Regionen, aus denen wir über Experimente keine Kenntnis der Eigenschaften und der Struktur der dortigen Kerne haben (und teilweise auch kaum jemals haben werden). Man ist also auf Extrapolationen angewiesen.

Unsere Gruppe beschäftigt sich daher mit der Untersuchung der Struktur exotischer radioaktiver Kerne, die experimentell zugänglich sind.

An der GSI werden radioaktive Strahlen durch Fragmentation hochenergetischer Schwerionenstrahlen (200-1000 MeV/u) erzeugt. Damit sind Experimente auch mit geringen Strahlintensitäten möglich. Seit einigen Jahren wird die GSI ausgebaut zur „Facility for Antiporoton and Ion Research“ FAIR. Dort werden dann Strahlen mit höheren Intensitäten bzw. noch exotischere Isotope für Experimente … erste ab 2018 … zur Verfügung stehen.

Die Gruppe ist an zwei Kollaborationen innerhalb von NUSTAR („Nuclear Structure, Astrophysics and Reactions“) beteiligt. Hierbei stehen sowohl die Planung, Durchführung und Analyse von Experimenten als auch Simulation, Entwicklung und Aufbau von Detektorsystemen, Elektronik und Datenaufnahmekomponenten im Fokus:

EXL

Das EXL-Projekt entwickelt die weltweit einzigartige Möglichkeit, Kernreaktionen von exotischen Kernen in einem Speicherring mit einem internen Target zu untersuchen. Wir nutzen dafür den existierenden Speicherring ESR der GSI und in Zukunft auch den neuen HESR bei FAIR.

  • elastische und inelastische Streuung sowie Transfer-, Ladungsaustausch- und Knockout-Reaktionen
  • Entwicklung hochsegmentierter Siliziumstreifendetektoren auf Keramikträgern zur Verwendung unter UHV-Bedingungen sowie Pulsformanalyse zur Teilchenidentifizierung und integrierte Ausleseelektronik

R3B

R3B hat die kinematisch vollständige Messung von Reaktionen mit relativistischen radioaktiven Strahlen zum Ziel. Wir sind an CALIFA, einem Kalorimeter und Spektrometer für Photonen und leichte Teilchen, beteiligt. Einzelne Elemente von CALIFA werden von der Gruppe aufgebaut und getestet.

  • Knockout- und Aufbruchsreaktionen sowie quasi-freie Streuung
  • CALIFA-Kalorimeter: Szintillationsdetektoren (CsI, LaBr3/LaCl3) und deren Auslese (PMT, APD), Lichtkalibrationssystem, GEANT-Simulationen

Im Rahmen des Helmholtz International Centers for FAIR, HIC for FAIR, wird diese Arbeit im Exzellenzprogramm LOEWE des Landes Hessen unterstützt.

An der ISOLDE-Anlage des CERNs stehen radioaktive Strahlen bei niedrigen Energien (30-60 keV) zur Verfügung. Der Nachbeschleuniger REX-ISOLDE, seit 2001 erfolgreich in Betrieb, liefert Strahlen mit Energien von bis zu 3 MeV/u zu den Experimenten. Der Ausbau zu HIE-ISOLDE, seit 2015 in Betrieb, erhöht die Strahlenergie schrittweise auf bis zu 10 MeV/u verbunden mit höherer Intensität und besserer Strahlqualität.

Unsere Gruppe verwendet unterschiedliche Methoden wie Coulombanregung, Transferreaktionen und Zerfallsspektroskopie in Experimenten zum Studium exotischer Kerne bei ISOLDE. Typische Experimentaufbauten bestehen aus dem MINIBALL-Spektrometer mit 24 segmentierten HPGe-Detektoren für den Nachweis von Gammastrahlung und den von unserer Gruppe betreuten Siliziumdetektoraufbauten T-REX und C-REX für den Teilchennachweis.

  • Ein- und Zwei-Neutronen-Transferreaktionen in der „Island of Inversion“ um N=20
  • Coulombanregung von neutronenreichen Kernen um das doppelt-magische 132Sn

Am Höchstflussreaktor des ILL in Grenoble verwenden wir Neutroneneinfangreaktionen, (n,gamma), und neutroneninduzierte Spaltung von sehr schweren Kernen zur Bevölkerung von angeregten Kernzuständen.

  • isovektorielle Oktupolanregungen in 144Nd – Kernspektroskopie mit EXILL und Lebensdauermessungen im Subpikosekundenbereich im GAMS
  • Lebensdauermessungen in neutronenreichen Xe-Isotopen mit der Fast-Timing-Methode