Weniger nukleares Chaos als erwartet – Nukleare Gamma-Zerfälle strukturierter als gedacht

30.07.2025

Darmstadt, Deutschland / Durham, USA – Ein Forschungsteam um Prof. Pietralla an der TU Darmstadt hat einen neuartigen experimentellen Ansatz entwickelt und angewendet, der gängige Annahmen in der Kernphysik infrage stellt. Die Daten eines Forschungsprojekts unter Leitung von Dr. Isaak, die von Dr. Papst für seine Dissertation am Institut für Kernphysik der TU Darmstadt analysiert und interpretiert wurden, deuten darauf hin, dass sich Atomkerne bei hohen Anregungsenergien möglicherweise weniger zufällig verhalten als bisher angenommen und dass spezielle Kernstruktureffekte weiterhin eine Rolle spielen könnten.

Seit Jahrzehnten nutzen Forschende statistische Modelle, insbesondere den Hauser-Feshbach-Formalismus und die Zufallsmatrix-Theorie, um das Verhalten angeregter Atomkerne in Bereichen mit einer hohen Dichte an Quantenzuständen zu beschreiben. Diese Modelle gehen davon aus, dass Kernprozesse vollständig chaotisch ablaufen und andere Effekte aus der Kernstruktur keine Rolle spielen.

Der neue experimentelle Ansatz, der an der TU Darmstadt entwickelt und in Zusammenarbeit mit der High Intensity Gamma-ray Source (HIγS) sowie dem TUNL an der Duke University umgesetzt wurde, eröffnet eine neue Perspektive. Mithilfe von polarisierten quasi-energetischen Photonenstrahlen und hochauflösender Gammaspektroskopie untersuchte das Team das Zerfallsverhalten des deformierten Kerns Neodym-150 (¹⁵⁰Nd).

„Wir haben starke Hinweise darauf gefunden, dass die sogenannte K-Quantenzahl, ein Maß für die Ausrichtung des Drehimpulses eines Atomkerns entlang seiner Verformungsachse, auch dann noch messbaren Einfluss auf die Eigenschaften des Gamma-Zerfalls ausübt, wenn im Kern bereits eine sehr hohe Zustandsdichte vorliegt“, erklärt Dr. Isaak. Diese Beobachtung legt nahe, dass die traditionelle statistische Beschreibung die Komplexität des Kernzerfalls bei diesen Energien möglicherweise nicht vollständig erklären kann. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass bestimmte Aspekte in der mikroskopischen Struktur des Kerns auch in einem bisher als rein statistisch angesehenen Regime relevant bleiben könnten. Dies könnte Auswirkungen auf die Modellierung von Kernreaktionen haben, insbesondere auf solche, die an der Synthese von Elementen im Universum beteiligt sind.

Die neue Methode ist auf stabile Isotope anwendbar und ebnet den Weg für weitere Untersuchungen sowohl an deformierten als auch an sphärischen Kernen. Zukünftige Forschungen werden untersuchen, ob die beobachteten Abweichungen von statistischen Modellen auf die teilweise Erhaltung der K-Quantenzahl zurückzuführen sind oder ob andere kernphysikalische Phänomene das Zerfallsverhalten beeinflussen.

Die Publikation in Physical Review Letters

O. Papst et al.

Deviations from the Porter-Thomas Distribution due to Nonstatistical gamma Decay below the 150Nd Neutron Separation Threshold

Phys. Rev. Lett. 135 (2025) 052501