Arbeitsgruppe Peter von Neumann-Cosel
Elektronenstreuung, Wenig-Nukleonen-Systeme

Untersuchung der Kernstruktur mit virtuellen Photonen

In Elektronenstreuexperimenten mit dem S-DALINAC, und in Protonenstreuexperimenten am RCNP in Osaka und iThembaLABS in Kapstadt können kollektive Bewegungen bei niedrigen Anregungsenergien untersucht werden.

Neue experimentelle Untersuchungen haben dabei zum ersten Mal die Existenz von exotischen Kernzuständen, wie z.B. einer entgegengesetzten Rotation oder einer toroidalen Bewegung der Nukleonen nahe gelegt.

Die Untersuchungen dienen u.a. der Klärung von zwei fundamentalen Fragen der Kernstrukturphysik:

  • Können Niveaudichten extrahiert werden, die zum Test und zur Verfeinerung theoretischer Kernmodelle dienen können?
  • Welche Bedeutung haben die verschiedenen Mechanismen für den Teilchenzerfall im Kontinuum?
Schematische Darstellung der Pygmy-Dipol-Resonanz
Schematische Darstellung der Pygmy-Dipol-Resonanz

Noch ist die Struktur und Natur der zwergenhaften Dipolresonanz (Pygmy-Dipol-Resonanz) vollkommen ungeklärt. Sie ist eine Anregungsmode, die in neutronenreichen Kernen auftritt. Eine Erklärung ist die Schwingung eines Kerns mit ungefähr gleich vielen Protonen und Neutronen gegen eine Neutronenhaut.

Ein besseres Verständnis der Pygmy-Dipol-Resonanz führt zu einer besseren Beschreibung der Eigenschaften von Kernmaterie. Die Forschung dient auch dazu, das Verhalten neutronenreicher Kernmaterie, wie sie beispielsweise in Neutronensternen oder bei schweren Kernen auftritt, besser zu verstehen.

Waveletanalyse der Dipolriesenresonanz von 28Si
Waveletanalyse der Dipolriesenresonanz von 28Si

Unter Riesenresonanzen versteht man in der Kernphysik eine Schwingungs-Anregung von Atomkernen. Bei Riesenresonanzen schwingen große Teile des Kerns. Die Anregungsenergie ist üblicherweise oberhalb der Teilchenseperationsenergie. Sie zerfällt meist durch Teilchenemission. Durch hochauflösende Experimente lässt sich mittlerweile auch die Feinstruktur von Riesenresonanzen untersuchen. Das Bild zeigt eine Analyse der isovektoriellen Dipolriesenresonanz von 28Si mithilfe der Wavelet-Analyse.

Auf der Suche nach dem Analogon zum Hoyle-Zustand im 16O

Das Kohlenstoffisotop 12C bildet die Lebensgrundlage auf unseren Planeten. In der Nukleosynthese entsteht es über den 3-α-Prozess, der sich beim stabilen Kohlenstoffkern in dem so genannten Hoyle-Zustand widerspiegelt. Er wird dadurch realisiert, dass sich die Nukleonen zu 3 α-Teilchen gruppieren. Dies Gruppierung von α-Teilchen wird als α-Cluster bezeichnet werden und verhält sich ähnlich wie ein Bose-Einstein-Kondensat. Damit bildet der Hoyle-Zustand eine Art Nukleosynthese-Fenster, durch das Kohlenstoff entstehen kann. Das Isotop 12C lässt sich nicht einfach dadurch erzeugen, dass zum 8Be ein weiteres α-Teilchen hinzugefügt wird, weil 8Be instabil ist. Der Hoyle-Zustand konnte bereits identifiziert werden. Auch im Sauerstoffkern treten α-Cluster auf. Hierbei bilden vier α-Teilchen eine Cluster-Struktur aus, deren Zustand das Analogon zum Hoyle-Zustand repräsentiert. Den 4-α-Zustand im Sauerstoffkern zu identifizieren, ist Gegenstand derzeitger Forschungsarbeit. Dies geschieht über Elektronenstreuexperimente am QClam-Spektrometer am S-DALINAC, bei denen die an Sauerstoffkernen gestreuten Elektronen und die herausgeschlagenen α-Teilchen gleichzeitig detektiert werden.

Um die Natur der symmetrischen und gemischtsymmetrischen Zustände innerhalb der Valenzschale zu untersuchen, werden Experimente mit Elektronenstreuung am Lintott-Spektrometer durchgeführt. Der isovektorielle Charakter des Übergangs zum gemischtsymmetrischen Einphonon-Zustand kann durch die Abhängigkeit des Impulsübertrages in der Elektronenstreuung sowie durch die Analyse der mikroskopischen Wellenfunktionen bestätigt werden.

Im Rahmen des sehr erfolgreichen Interacting Boson Modells lassen sich Atomkerne in einem Dreieck nach deren Eigenschaften anordnen. Jede Ecke des Dreiecks steht für eine bestimmte Symmetriegruppe. Reale Kerne liegen idealerweise in der Nähe dieser Ecken. Entlang der Kanten liegen die Regionen der Formphasenübergänge. Hier wird beispielsweise der Übergang von sphärischen Vibrationskernen zu deformierten Rotationskernen beschrieben. Die aktuelle Forschung beschäftigt sich damit, Kerne, die sich mit diesen Modellen beschreiben lassen, zu identifizieren.

Mithilfe unseres hochauflösenden Energieverlustspektrometers sind wir in der Lage, verschiedene Signaturen der Kerne zu messen (z.B.: Monopolmatrixelemente, B(E2)-Übergangswahrscheinlichkeiten, Energieverhältnisse, …), die uns helfen, die Kerne in diese Symmetriegruppen einzuordnen. Dadurch können wir entscheidende Beiträge zu diesem sehr aktuellen Forschungsgebiet beisteuern.