Arbeitsgruppe Guy Moore
Quantenchromodynamik

Thermodynamische und Transport-Eigenschaften heißer und dichter Materie unter starker Wechselwirkung

Materie, die durch die starke Wechselwirkung beschrieben wird, kann bei hohen Temperaturen und Dichten mittels der Fluiddynamik betrachtet werden. Im einfachsten Fall bedeutet dies, dass die Erhaltung des Energie-Impuls-Tensors ∂µTµν = 0 zusammen mit einer angenommenen Form desselben ausreicht, um das System und seine Evolution geschlossen zu beschreiben. Definieren wir die Energiedichte und die Vierer-Flussgeschwindigkeit über uµTµν = euν, gilt im simpelsten Fall idealer Fluiddynamik

Tµνideal = (e+ P)uµuν + P gµν,

was zusammen mit einer Zustandsgleichung P = P(e) die Dynamik des Systems vollständig festlegt (vier Gleichungen ∂µTµν = 0 für vier Variablen e, ui). Realistisch gesehen müssen jedoch auch nicht-ideale Beiträge wie die Scherviskosität Txy = Txy,ideal −η(∂xuy +∂yux) oder Volumenviskosität P → P − ζ∇iui beachtet werden. Falls weitere erhaltene oder beinah-erhaltene Größen vorliegen, werden zusätzliche Transportkoeffizienten benötigt; eine Diffusionskoeffizientenmatrix für die elektrische Ladung, die Strangeness, die Baryonenzahl und die ”sphaleron rate“, die den Abbau eines Überschusses in der axialen Teilchenzahl beschreibt. Diese Transportkoeffizienten sind essentiell für die Fluiddynamik des Nichtgleichgewichtssystems und die Beschreibung des Abbaus einer Störung im Gleichgewicht der Materie unter starker Wechselwirkung. Selbst in Zuständen sehr nahe am Gleichgewicht, beispielsweise den intermediären Stadien von Schwerionenkol?lisionen, spielt die von den Transportkoeffizienten kontrollierte Nichtgleichgewichtsdynamik eine große Rolle für die weitere Entwicklung des Systems. Und nicht zuletzt kann auch der Einfluss eines Mediums auf ein mit hoher Energie eindringendes Objekt mittels transverse broadening-Transportkoeffizienten beschrieben werden

Wir haben uns bereits mit Transportkoeffizienten bei hohen Temperaturen und kleinen oder verschwindenden Ladungsdichten beschäftigt und diese im Rahmen der (highly resummed) Störungstheorie betrachtet. Eines unserer Ziele ist es jetzt, diese Betrachtungen auf hohe chemische Potentiale zu erweitern. Dies ist nötig für das Verständnis von beispielsweise Schwerionenkollisionen mittlerer Energien oder die Fusion zweier Neutronensterne. Während die Verlässlichkeit unserer analytischen Methoden auf höhere Temperaturen und Dichten als erreicht werden beschränkt ist, können sie nichtsdestoweniger als Startpunkt für eine Extrapolation in den physikalischen Bereich dienen.

Des weiteren arbeiten wir an der Anwendung nichtperturbativer Methoden wie Gitter-QCD zur Erforschung von Systemen bei Temperaturen wie sie bei hochenergetischen Schwerionenkollisionen vorherrschen. In enger Zusammenarbeit mit Kollegen aus Bielefeld (Olaf Kaczmareks Gruppe) untersuchen wir mittels Methoden der Euklidischen Gittertheorie Korrelationsfunktionen, die, wenn analytisch fortgesetzt, über Kubo Relationen den gesuchten Transportkoeffizienten entsprechen (Scher- und Volumenviskosität, Topologieänderung, Diffusion schwerer wie leichter Quarks). Einer der Schwerpunkte unserer Gruppe sind hierbei Methoden zur Verringerung des Störrauschens in diesen Berechnungen. Wir wollen hierzu die Natur des gradient flow analytisch verstehen und wie der bestmögliche Zusammenhang zwischen gradient flow-Korrelatoren in der Gitter-QCD und ihren Gegenstücken im Kontinuum hergestellt werden und die Effekte des gradient flow mittels Extrapolation beseitigt werden können. Zudem interessieren wir uns für die Anwendung des gradient flow auf Fermionen und zuletzt auch andere Methoden der Gitter-QCD zur Verringerung des Störrauschens.

Ein weiteres unserer Interessengebiete sind exotische Transportkoeffizienten wie zum Beispiel die strong sphaleron rate, die die Rate der Topologie¨anderung eines Systems gemessen in reeller/Minkowski-Zeit angibt. Die Bedeutung der topologische Struktur der QCD ist über die Adler–Bell–Jackiw Anomalie (axiale Anomalie) ∂µJµA ∝ εµναβtr(GµνGαβ), mit Gαβ der gluonischen Feldstärke, gegeben. Die rechte Seite dieser Relation ist proportional zur Windungszahl von Ereignissen, die die Chern-Simons Zahl ändern; solche Ereignisse sind entgegengesetzt an links- und rechtshändige Quarks gekoppelt, was zu einer Verletzung der axialen Quarkzahl führt, die für leichte Quarks ansonsten erhalten wäre, abgesehen von kleinen, Quarkmassen-abhängigen Effekten. Diese Rate hängt nicht einfach mit der topologischen Suszeptibilität zusammen, besonders da die Rate mit steigender Temperatur wächst, während die Suszeptibilität abnimmt. Dass die Erhaltung der axialen Quarkzahl verletzt ist, spielt eine wichtige Rolle für die Bildung und Equilibrierung von axialen Ungleichgewichten, möglicherweise auch als Reaktion auf Magnetfelder und/oder Vortizität. Daher untersuchen wir ebenfalls die thermodynamische Reaktion eines QCD Mediums auf Vortizität bzw. sämtliche Vortizitätseffekte, die mittels Gitter-QCD bestimmt werden kann.

Die Ergebnisse unserer Forschung sollen das Verständnis aller Zustände von Materie unter starker Wechselwirkung außerhalb des Gleichgewichts erweitern; das Quark-Gluon-Plasma, welches beispielsweise in Schwerionenkollisionen erzeugt werden kann, ist hierzu das Paradebeispiel. Es ist lokal sehr nahe am Gleichgewicht, global aber weit davon entfernt, und erlaubt die experimentelle Betrachtung und Uberprüfung von Phänomenen, deren Auftreten bei der Fusion zweier Neutronensterne und im frühen Universum angenommen wird.