Arbeitsgruppe Joachim Enders
Technische Kernphysik

Nukleare Photonik

Die Nukleare Photonik ist ein neues Forschungsfeld und vereint die beiden Felder Kernphysik und Physik hoher Energiedichte in Materie. Dabei nutzt die nukleare Photonik erstmals die einzigartigen Eigenschaften neuer Höchstleistungslaser-basierten Strahlungsquellen für die Grundlagenforschung und Anwendung.

LOEWE-Schwerpunkt Nukleare Photonik

Das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst hat am 1. Januar 2019 an der TU Darmstadt im Rahmen der LOEWE Initiative, ein internationales Zentrum für Nukleare Photonik geschaffen.

Mehr erfahren

Für eine Vielzahl von Anwendungen in der nuklearen Photonik ist ein brillanter quasi-monochromatischer Hochenergie-Photonenstrahl erforderlich. Daher ist die Entwicklung von künstlichen γ-Quellen wichtig. Während die von einem Elektronen-Linearbeschleuniger (LINAC) erzeugte Bremsstrahlung ein breitbandiges Spektrum aufweist, nutzen neuartige γ-Strahlungsquellen die Laser-Compton-Rückstreuung (LCB). An diesem Punkt kommt der energierückgewinnende Linac ins Spiel. Während die Erzeugung von Bremsstrahlung den Elektronenstrahl zerstört, ist Laser-Compton-Rückstreuung ein geeignetes In-Beam-Experiment für Multiturn-ERLs. Aufgrund des vernachlässigbaren Rückstoßes des Elektrons. Auch die zu erwartende Energiebandbreite der gestreuten Photonen, die in einer LCB-Quelle innerhalb eines ERLs erzeugt werden, ist derzeit die beste erreichbare. Im LOEWE-Forschungscluster Nukleare Photonik sind die Voraussetzungen für die weitere Entwicklung dieser Technologie hervorragend.

Das Konzept der Laser-Compton-Rückstreuung ist durch den Inversen Compton-Effekt gegeben. Wenn ein Photon antiparallel mit einem Elektron kollidiert, wird das Photon zurückgestreut. Dabei gewinnt das Photon an Energie, es wird in einem Kegel proportional zu 1/γ verstärkt. Diese Charakteristik der Verteilung ist in der Simulation, siehe Abbildung, der geplanten LCB-Quelle, mit den Grundparametern, unter Verwendung des von P. Volz und A. Meseck entwickelten Simulationscodes, zu sehen.

Um den Aufbau möglichst einfach zu halten, wird in der LCB-Quelle am S-DALINAC der Laserstrahl antiparallel zur Flugrichtung der Elektronen in den Beschleuniger eingekoppelt und kollidiert in seinem Brennpunkt mit dem Elektronenstrahl. Die Einkopplung und Fokussierung wird durch einen off-Axis Parabolspiegel gelöst, der den Laserstrahl auf Bahn der Elektronen bringt und gleichzeitig die Elektronen durch ein Loch in sich selbst passieren lässt. Dieses Konzept für den Elektronenstrahl wurde mit einem Dummy-Spiegel, siehe Bild, im Inneren des S-DALINAC erfolgreich im Betrieb getestet. Das Gesamtdesign der LCB-Quelle mit den notwendigen Komponenten wurde 2020 konkretisiert und fertiggestellt. Und sind in die beantragte Förderung im Rahmen des FUGG-Programms für Großgeräte der Forschung durch die DFG eingeflossen.

Weiterhin wurden Konzepte und Komponenten zur Messung und Verarbeitung der gestreuten Photonen erstellt und charakterisiert. Wir erwarten, dass wir im nächsten Jahr mit dem Bau der LCB-Quelle an S-DALINAC beginnen können. Simulationen sagen für die LCB-Quelle eine gute Strahlqualität und entsprechend eine vielversprechende Genauigkeit bei der Charakterisierung der Elektronenstrahlparameter voraus. Damit wären wir in der Lage, die Wechselwirkung von Laser und Beschleuniger für eine wesentlich brillantere LCB-Quelle zu untersuchen.

Unsere Arbeitsgruppe untersucht im Rahmen der experimentellen Aktivitäten zur Nuklearen Photonik am Institut für Kernphysik vor allem Kernspaltungsprozesse. Der Schwerpunkt liegt dabei auf mit Gammastrahlung induzierter Spaltung. Dazu werden schwere Atomkerne wie 238U mit Gammastrahlung im Bereich von 5-10 MeV in Zwischenzustände angeregt. Spalten die Kerne, können die Spaltfragmente z.B. mit einer Ionisationskammer gemessen werden. Ziel ist es, die Eigenschaften der Fragmente in einer Reihe von Kernen möglichst genau zu untersuchen, um eine detaillierte Beschreibung des hoch komplexen Spaltprozesses zu ermöglichen. Eine solche Beschreibung ist u.a. von Relevanz für die nukleare Astrophysik („r-Prozess“) oder technische Aspekte (z.B. Transmutation). Mit Einrichtungen wie der im Bau befindlichen Extreme Light Infrastructure – Nuclear Physics in Rumänien (ELI-NP) werden neue, einzigartige Strahlungsquellen zur Verfügung gestellt.

Abbildung: CAD-Zeichnung der Spalt-Ionisationskammer im ELIGANT-Array an ELI-NP.
Abbildung: CAD-Zeichnung der Spalt-Ionisationskammer im ELIGANT-Array an ELI-NP.

Eigenschaften des Kernspaltungs-Prozesses und der entstehenden Spaltfragmente liefern wichtige Erkenntnisse über die Struktur der Zwischenzustände des Spaltkerns sowie der potentiellen Energie in Abhängigkeit von Deformation und Kernform. Um die verschiedenen Kenngrößen wie Massen-, Energie- und Winkelverteilung der Spaltfragmente zu messen werden Spalt-Ionisationskammern genutzt. Zur simultanen Messung von prompter Gamma- und Neutronenstrahlung können zusätzliche LaBr3-Detektoren sowie HPGe-Detektoren verwendet werden. In der nebenstehenden Abbildung ist eine von unserer Arbeitsgruppe entwickelte Ionisationskammer im Detektor-Array ELIGANT an der Extreme Light Infrastructure – Nuclear Physics Anlage dargestellt. In diesem geplanten Experiment sollen alle oben erwähnten Spaltobservablen erstmals simultan und an einem monochromatischen, polarisierten Gammastrahl gemessen werden.

Abbildung: Gemessener mittlerer Pulshöhendefekt in einem Ar+CF4 Gasgemisch mit Mischungsverhältnis 80:20.
Abbildung: Gemessener mittlerer Pulshöhendefekt in einem Ar+CF4 Gasgemisch mit Mischungsverhältnis 80:20.

Um kompakte Detektoren zu konzipieren, wurde im Sommer 2017 eine Studie zur Untersuchung unterschiedlicher Ar+CF4-Gasgemische im Hinblick auf Elektronenmobilität und Pulshöhendefekt in Kooperation mit dem Joint Research Centre der Europäischen Kommission (JRC) in Geel, Belgien, durchgeführt. Dabei wurde der Spaltprozess 252Cf(sf) in einer Ionisationskammer unter Verwendung verschiedener Detektorgase untersucht. In nebenstehender Abbildung ist eine Verteilung des mittleren Pulshöhendefekts, gemessen in 80% Argon und 20% CF4, zu sehen. Die im Experiment gemessenen Prä-Neutronen-Massen- und Energiespektren stimmten exzellent mit etablierten Daten der Literatur überein.

Kollaborationspartner

  • Str. Reactorului no.30, P.O.BOX MG-6, Bucharest – Magurele, Romania

    ELI-NP is going to be the most advanced research facility in the world focusing on the study of photonuclear physics and its applications, comprising a very high intensity laser of two 10PW ultra-short pulse lasers and the most brilliant tunable gamma-ray beam. This unique experimental combination will enable ELI-NP to tackle a wide range of research topics in fundamental physics, nuclear physics and astrophysics, and also applied research in materials science, management of nuclear materials and life sciences.

  • Since 1962, the JRC facility in Geel brings together multi-disciplinary expertise for developing new measurement methods and tools such as reference materials, promoting standardisation and harmonisation across the European Union to stimulate innovation and to protect consumers and citizens.

  • Institut für Kernphysik, TU Darmstadt

Förderung

  • BMBF-Verbundprojekt ELI-NP zwischen der Universität zu Köln (Prof. Zilges), der TU Darmstadt (Prof. Enders, Prof. Kröll, Prof. Pietralla) und der LMU München (PD Thirolf).

  • Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz – kurz: LOEWE – ist der Titel des Forschungsförderungsprogramms, mit dem das Land Hessen seit 2008 wissenschaftspolitische Impulse setzen und damit die hessische Forschungslandschaft nachhaltig stärken will.

M. Peck et al., Performance of a twin position-sensitive Frisch-grid ionization chamber for photofission experiments, EPJ Web Conf. 239, 05011 (2020)

M. Peck et al., Pulse-height defect of Ar+CF4 mixtures as a counting gas for fission-fragment detectors, NIM A 919, 105 (2019)

A. Göök et al., Correlated mass, energy, and angular distributions from bremsstrahlung-induced fission of 234U and 232Th in the energy region of the fission barrier, Phys. Rev. C 96, 044301 (2017)